Dienstag, 3. Dezember 2013

Pompeji in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung

Am 16. November waren wir in „Pompeji — Leben auf dem Vulkan“. Die Ausstellung in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung war am Tag zuvor für die Allgemeinheit geöffnet worden und soll dort noch bis zum 23. März 2014 zu sehen sein.

Im Kopf hatte ich noch die Bilder mehrerer Besuche von „Luxus und Dekadenz — Römisches Leben am Golf von Neapel“ 2009 in der Archäologischen Staatssammlung. Hinzu kam ein in der Zeit dieser Wanderausstellung häufig in Phoenix wiederholter Film über die römischen Luxusvillen am Golf von Neapel. Zuvor fanden 2006 ebenfalls in der Archäologischen Staatssammlung „Die letzten Stunden von Herculaneum“ statt. Und als „Vorspann“ gab es 1999 im Münchner Haus der Kunst die Ausstellung „Odysseus — Mythos und Erinnerung“, da spielten die Grotte des Tiberius bei Sperlonga und das Nymphäum des Kaisers Claudius in Baiae eine große Rolle.

Aber die schönen Sachen der alten Römern sieht man ja gern öfters. Eher hätte ich deshalb mit der Pompeji-Ausstellung noch warten können, weil ich etwas in ganz anderer Richtung befürchtete: eine Dramaturgie in der Art „Die letzten Tage von Pompeji“, etwas zum Verfall des heutigen Pompeji (ab und zu stürzt ja dort eine Mauer ein) oder ganz viele Hohlraum-Ausgüsse von Toten. Und das habe ich in dieser Novemberphase nicht gebraucht (jetzt geht es wieder, jetzt brauche ich nichts für den größer werdenden Dezemberstress). Aber ich ging mit und ich fand nichts Herunterziehendes in der Ausstellung. Sie ist „schön“, also so in der Art „Luxus und Dekadenz“ und „Odysseus — Mythos und Erinnerung“. Keine zusammengestürzten Orginalmauern in der Ausstellung, wenig Ausgüsse, und die in einem Raum konzentriert.

Die ausgestellten Mosaiken und Wandmalereien sind museal, also schon für die Ausstellung in Museen aufbereitet. Es wird hochrangigstes Kunsthandwerk gezeigt. Die Ausstellung wird auch Kunstausstellungsinteressierte ansprechen, die es nicht so mit den alten Römern haben. Hinsichtlich der Kunst will ich nicht über die Feinheiten spekulieren, etwa ob die räumlichen Voraussetzungen oder die Erfahrung mit Kunstausstellungen eine stärkere Rolle spielten, aber die Sammlung Gladiatorenhelme fand ich für archäologische Objekte fast schon zu eindrücklich. Die blieben in einem ebenfalls zum Gladiatoren-Thema gestalteten kleinen Raum der Luxus-Ausstellung einfach nur archäologische Ausstellungsstücke.

Eingangs der Pompeji-Ausstellung steht die Archäologie noch merklicher mit im Vordergrund. Da werden Zeugnisse früherer Vesuv-Ausbrüche gezeigt und die zeitliche Dimension spielt auch eine größere Rolle — man hat bronzezeitliche und eisenzeitliche Katastrophen nachweisen können. Auf der Website der Hypo-Kulturstiftung ist eine „Fußspur in der Ascheschicht eines vorgeschichtlichen Vesuvausbruches“ aus dem Eingangsbereich zu sehen. Aber schon dieser Eingangsbereich wird dominiert von „schönen“ kaiserzeitlichen Werken. Im ersten Raum etwa das wie ein Tafelbild gehängte „Mosaik mit der Darstellung eines Skeletts“ und das Bild „Bacchus und der Vesuv“ (beide sind ebenfalls auf der Website zu sehen).

Wie bildet man das „Leben auf dem Vulkan“ einer ganzen Stadt ab? Man interpretiert den Ausstellungstitel etwas frei und geht bei den ausgestellten Stücken sogar über Pompeji hinaus, zeigt also Ausstellungstücke aus der Region mit Schwerpunkt auf Pompeji. Und das Leben stellt man durch ausgewählte Beispiele dar. Also z.B. der erwähnte Raum mit Ausstellungsstücken aus einer Gladiatorenkaserne, ein Raum zum „Haus des Menander“. Auf dem Weg zum Haus des Menander ist ein Teilbereich des Raumes dem „Haus der arbeitenden Maler“ gewidmet. Später Gartenmalereien aus dem „Haus des Goldenen Armreifs“, ein Teil der Mosaikwand des Nymphäums von Massa Lubrense und Exponate aus dem Augusteum von Herculaneum.

Das „Haus der arbeitenden Maler“ ist wirklich nach den zur Zeit der Katastrophe in dem Haus arbeitenden Malern benannt. Da kann man den Malern in ihre Farbtöpfe sehen. Sonst ist wie gesagt unter den Ausstellungsstücken viel hochrangigstes Kunsthandwerk, welches sicher nicht so direkt etwas mit dem Leben auf dem Vulkan der Mehrzahl der Bevölkerung zu tun hatte. Sehr viel wird aber doch in Facetten, Texten, Zwischentönen mitgegeben. Das ist auch nicht neu, in der Luxus-Ausstellung konnte man eine eiserne Fußfessel sehen. Aber in der Pompeji-Ausstellung kam mir das Schema ausgeprägter vor.

Das „Haus des Menander“ bekam seinen Namen durch ein dort vorgefundenes Wandbild des griechischen Dichters Menander. In ihm lebte eine wohlhabende Familie mit Dienstpersonal. Im Text wird die Fundsituation der Toten im Haus beschrieben, mittelbar bekommt man also eine Vorstellung von den unterschiedlichen Schichten der Stadtbevölkerung. Ein Modell zeigt die Einbindung des Hauses in den lokalen Häuserblock mit zahlreichen wesentlich kleineren Einheiten (Läden, Wohnräume?). An der Wand ist ein großformatiges Foto von der Ausgrabung und ein eher schönes Bild vom heutigen Zustand mit Schutzdach (Bild „Peristyl im Haus des Menander“) zu sehen. Also man bekommt mittelbar mit, daß das heutige Pompeji nicht einfach so aus der Schale gepellt wurde, sondern auch ein neuzeitliches Produkt ist. (Aber es gäbe auch farblich trostlosere Bilder vom heutigen Pompeji, auf denen die Mauern nach abgenommenen Wandgemälden aussehen).

Zu den Gladiatorenhelmen ist in der Ausstellung zu lesen, daß es einen nicht lange zurückliegenden Gladiatorenaufstand gegeben hat und man alle Angriffswaffen nur in einem Raum fand. Was vermuten lässt, daß dieser Raum abgeschlossen und bewacht war. Bei einer kleinen technischen Facette in der Begrenzung vor dem angedeuteten Becken vor der „Mosaikwand des Nymphäums von Massa Lubrense“ bin ich eine Weile hängen geblieben. In einem verglasten Bereich kann man ein Stück Wasserverteiler mit Ventil aus Blei/Bronze sehen. Solche Ventile hatte ich nur aus Fernsehfilmen über die Nemi-Schiffe von Kaiser Caligula in der Erinnerung.

Also man kann außer über die schönen Dingen, die der kleine wohlhabende Teil der Bevölkerung besessen hat, auch manches über das „Leben auf dem Vulkan“ mitbekommen. Und gut, in meine Novemberstimmung hat das Abrücken in das Schöne und in Richtung Kunstausstellung gepasst. Ein anderer möglicher Kritikpunkt wären die ähnlichen Ausstellungen, die nur wenige Jahre zuvor in München stattgefunden haben. Die „Herme mit dem Portrait des Lucius Caecillus Felix“ habe ich im Katalog der Luxus-Ausstellung wiedergefunden, und im oben verlinkten Bericht von der Herculaneum-Ausstellung ist noch mehr Bekanntes zu sehen.

Fotografieren ist in der Pompeji-Ausstellung verboten, glaube ich. Ich habe gesehen, wie ein Aufseher einem klickenden Handy nachgejagt ist. In einem anderen Raum hat es einmal vom Personal unbemerkt neben mir geklickt. Wenn man an die vielen Leute mit Smartphone in der Hand in der U-Bahn denkt, muß man mittlerweile an einen Kampf gegen eingebaute Reflexe denken. Früher wären einem umständehalber nur handschriftliche Notizen in den Sinn gekommen (oder man hätte auf den Katalog gehofft). Heute gibt es einen digitalen Workflow. Man sortiert die Erinnerungsstücke zuhause geeignet mit dem größeren Rechner ein oder gibt sie gleich vom Smartphone mit einem Kommentar über das Mobilfunknetz weiter. Beim Vergleich von alten und neuen Medien sollte man immer dieses Umfeld miteinbeziehen.

Mich wundert deshalb das Festhalten an den klassischen gedruckten Ausstellungskatalogen. Es gibt sicher eine Idylle mit dem Katalog auf der Wohnzimmercouch. Man kann aber nur schlecht damit am PC arbeiten (selbst beim Spezialthema des Katalogs findet man manchmal schneller etwas im Internet, und man kann im Katalog nicht schnell ein paar Wörter markieren und danach im Internet suchen, man kann auch nicht einfach Textstellen für die Stoffsammlung übernehmen, sondern muß alles abtippen). Ich zweifle auch, ob sich eine zierliche ältere Dame beim häufig vertretenen Katalogtyp „dicke Schwarte“ so sehr nach der haptischen Erfahrung sehnt. Hinzu kommt, daß viele Erwerbstätige nur kleine Wohnungen haben und trotzdem wenig Ersparnisse, da müßte die Tendenz eigentlich später zu den noch kleineren Raumeinheiten um das Haus des Menander herum gehen. Flächendeckendes WLAN, ein Tablet-Computer und allgemein verfügbare Ausstellungsstücke in 3D würden dazu passen. Den Text dazu kann man sogar vergrößern und braucht keine Brille aufziehen. Als frisches Beispiel für so ein 3D-Projekt kann man sich einmal Smithsonian X 3D ansehen. Für die dort eingestellten Objekte braucht man einen WebGL-fähigen Browser, wobei WebGL ggf. im Browser eigens aktiviert werden muß.

Nach den Schätzen Pompejis und Herculaneums wurde schon im 18. Jahrhundert in größerem Umfang gegraben. Ein abschließender Raum widmet sich den Nachwirkungen der Funde. In Bayern sollte das von Ludwig I. in Auftrag gegebene Pompejanum bekannt sein, das nach dem Vorbild eines pompejanischen Hauses erbaut wurde. In der Ausstellung war die Büste Ludwigs von Bertel Thorvaldsen aufgestellt. Ich weiß zwar jetzt nicht, was die Büste mit Pompeji zu tun hatte, aber es war ein nettes Wiedersehen. Bertel Thorvaldsen hatte ich mit seiner Spes schon im Blog. Den erwähnten Klick neben mir gab es beim „Liebesmarkt“ nach einem Fresko in Stabiae. Das Motiv muß zeitweise ein ziemlicher Renner gewesen sein. Verständlich angesichts der langweiligen Engel, die uns jetzt wieder bevorstehen. In der Ausstellung war zu dem Motiv ein Bild, eine Vase und ein Tafelaufsatz zu sehen. Wir kannten das Motiv nur als „Amorettenverkäuferin“ von Joseph-Marie Vien. Im Web ist das Orginalbild via „woman selling cupids“ zu finden.

So einen abschließenden Blick auf die Nachwirkungen gab es auch schon häufiger. Travelwriticus etwa berichtet davon aus der Karlsruher Karthago-Ausstellung 2004. Ich finde solche Bezüge gut, ich glaube sogar man sollte das ausbauen, aber in angepasster Weise. Es wurde schon an anderer Stelle in einem Museumsleiter-Interview das Schwinden des Bildungsbürgers festgestellt, welches durch mehr Erklärungen ausgeglichen werden müsse. Die von Travelwriticus erwähnten Salammbô und Flaubert müßten also so rübergebracht werden, daß auch diejenigen in der Ausstellung stehen bleiben, die die beiden bislang nicht kannten. Anderseits wird es immer normaler, daß sich die Leute in höchster Geschwindigkeit in früher ungeahnte Informationsverästelungen bewegen. Das wird noch mehr werden, da ist kein Ende abzusehen. Es sollte eigentlich ein Netzcheck auf die Einstiegspunkte zu den Ausstellungsinhalten üblich werden. Was gibt es dazu im Internet? Könnte man nicht selbst etwas dazu reinstellen (wenn man nur um die Ecke herum eine wichtige weiterführende Information / ein Bild findet)? Kann man das, was im Netz frei verfügbar ist, auf einfache Weise an andere weitergeben (also damit über die Ausstellung kommunizieren)?

Die Ausstellung hat uns pro Person 12 Euro gekostet. Der Preis ist ok. Ich war vor ein paar Wochen in einem ähnlich teuren Kinofilm, an den ich mich weniger erinnern werde. Die Eintrittspreise zu den Ausstellungen damals in der Archäologischen Staatssammlung waren dagegen natürlich Schnäppchen. Aber man kann die Kosten der Pompeji-Ausstellung senken bzw. kostenlose Zugaben bekommen: halbe Eintrittspreise an Montagen, die nicht auf einen Feiertag fallen, kostenlose Themenführungen an manchen Dienstagen, wenn man ab 17 Uhr eine Karte bekommt, ein paar Vorträge, für die man kostenlos Karten bekommen kann, wenn man eine Eintrittskarte zur Ausstellung kauft. Es empfiehlt sich ein genauerer Blick auf die Website.

Nun noch ein Hinweis auf den kostenlosen Coursera-Online-Kurs Roman Architecture. Der Kurs startet im Januar 2014 und dauert 15 Wochen. Thema in der dritten Woche ist der „Lifestyles of the Rich and Famous: Houses and Villas at Pompeii“ und „Habitats at Herculaneum and Early Roman Interior Decoration“. In der Woche 4 geht es um „Special Subjects on Pompeian Walls“. Architekturfreaks mit viel Zeit können diesen Kurs mit dem ebenfalls im Januar startenden Blick auf die „Early Renaissance Architecture in Italy: from Alberti to Bramante“ ergänzen. Eine römische Villa kann man sich jetzt schon ausführlich im Internet ansehen. Die liegt zwar nicht im Pompeji, ist aber dafür kaiserlich: hier die Website des „Digital Hadrian's Villa Project“. Zum Einstieg sollte man sich das zugehörige Video ansehen. Eventuell nun verschnupften Katalogliebhabern kann ich in dem Zusammenhang auch noch etwas bieten: Phemios Aoidos hat über ein paar Katalogreisen geschrieben - also Reisen per gekauftem Katalog - und berichtete im August über seine Katalogreise zur Villa Adriana.