Montag, 24. Oktober 2011

Grab der Seherin

Zum Grabhügelfeld mit dem „Grab der Seherin“ geht es die im ersten Bild des letzten Blog-Eintrags gezeigte Abzweigung von der Straße Gauting - Starnberg hoch zum stillgelegten Bahnhof Mühltal. Die Asphaltstraße unterquert da oben die Bahnlinie, und direkt nach der Unterquerung biegt man rechts in einen Schotterweg zum Grabhügelfeld ein, während die Asphaltstraße eine Linksbiegung macht und sich dann in die Richtungen Gut Rieden und Hanfeld teilt.

Der in den Wald ansteigende Schotterweg verläuft zunächst parallel zur Bahnstrecke und macht dann eine 90°-Linksbiegung. Zum „Grab der Seherin“ muß man kurz darauf in einen Weg nach rechts einbiegen, die 90° sind wieder korrigiert und man ist so in etwa wieder parallel mit der Bahnstrecke, die jetzt ein wenig weiter rechts entfernt verläuft. Auf diesem Weg kommt man an einem umzäunten Gelände vorbei, via Google Maps ist es als Freifläche im Wald erkennbar. Dann sieht man links und rechts neben dem Weg Grabhügel, den großen Grabhügel in Bild 1 - 3 gleich links nach dem Zaun. Wenn man den Weg weitergeht - es geht jetzt schon wieder abwärts - gelangt man zu einer Weggabelung. Vor dieser Gabelung muß man zum „Grab der Seherin“ rechts in den Wald hinein. Vom Weg ist schon der ausgetretene Fußpfad und die Dekoration zu sehen, das Grab ist also kaum zu verfehlen. Zudem könnte man sich noch an der sehr nah vorbeiführenden Bahnlinie orientieren - in Bild 8 sind links oben waagrechte Drähte zu erkennen, das sind die Stromleitungen. Wenn es im Bild rechts oben nicht so hell wäre, könnte man da die Drähte vermutlich auch sehen.

Grabhügel im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Man sollte sich das alles noch im BayernViewer-Denkmal ansehen (Verwendungshinweise gibt es im Blog-Eintrag BayernViewer-denkmal und GPS). Der Hügelgräberfriedhof ist dort zwar nur eine rot eingefärbte Fläche mit der Angabe „Grabhügel der Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit“, Denkmalnummer D-1-7934-0273, aber man sieht in etwa die Ausdehnung. Vor allem ist bemerkenswert, daß man schon nach der Unterquerung der Bahnlinie auf eine ehemalige Römerstraße stößt, und daß man dieser Strecke auf dem Parallelweg zur Bahnlinie folgt. Wobei die weiteren Markierungen der Straße dann eher verwirrend wirken. Wie dem auch ist, irgendwo da verlief die Römerstraße. Der Text im BayernViewer-Denkmal ist „Straße der römischen Kaiserzeit, Teilstück der Trasse Gauting-Kempten“, die Nummern sind D-1-7934-0146 und D-1-7934-0147.

Grabhügel im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Die Mulden oben in den Hügeln gehen vermutlich auf Dr. Julius Naue zurück, der hier im 19. Jahrhundert als Ausgräber tätig war. Es gibt Beschreibungen seiner Ausgrabungen, die sind zum Teil in seinem Buch Die Hügelgräber zwischen Ammer- und Staffelsee. Geöffnet, untersucht und beschrieben von Dr. Julius Naue. zu finden, das man bei archive.org als pdf-Datei herunterladen kann. Dort sind aber nach Titel, Karte und Durchblättern nur Ausgrabungen andernorts beschrieben. Vielleicht ist die Beschreibung der Ausgrabung dieses Hügelgräberfeld in seinem Buch „Die Bronzezeit in Oberbayern“ enthalten.

Grabhügel im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Hinsichtlich der „Seherin“ scheint der Grabungsbericht von Dr. Julius Naue die einzige noch vorhandene archäologische Basis zu sein. Von Julius Naue muß es zwei Zeichnungen geben, die ich glaube einmal als durchgereichte Kopien gesehen zu haben. Die eine Zeichnung zeigte glaube ich Skelett, erhaltene Metallteile der Kleidung und erhaltene Beigaben in der Fundsituation. Zudem gab es wohl eine Rekonstruktionszeichnung, die man sich Dank Itzá hier im Flower of Life Forum ansehen kann. Nach meiner sicher nicht fotografischen Erinnerung gab es eine rockartig aufgespreizte, getrennte Anordnung von Metallstreifen in der Fundzeichnung, die in der Rekonstruktionszeichnung unten dicht aneinander an dem Kleidungsstück befestigt sind.

Grabhügel im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Die damaligen Funde sollen heute nicht mehr verfügbar sein. Nach einer gehörten Version sind die Funde in Berlin, nach einer anderen sind sie in der Archäologischen Staatssammlung ausgebombt worden. Eine Dame im Hörteil des im Blog-Eintrag über die Mühltal- oder Bethenquelle verlinkten BR-Online-Beitrages brachte das zusammen: nach Berlin zur Untersuchung gebracht und dort im Bombenhagel verschwunden.

Grabhügel im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Itzá zitiert aus einer nicht mehr zugreifbaren pdf-Datei einen „vierspeichiger Bronzeradschmuck oder Bronzering mit Mittelkreuz“ unter der „rechten Handfläche der Seherin“, der nicht nur bei ihr Anlaß zu weiter reichenden Interpretationen gibt. Dr. Julius Naue stellt in dem herunterladbaren Buch „Die Hügelgräber zwischen Ammer- und Staffelsee“ auf Seite 189ff. dagegen „bronzene Kopfringe“ in den Vordergrund: „In besonderen Ehren scheinen die Frauen gestanden zu sein; da über ihren Grabstätten häufig hohe Grabhügel errichtet wurden; auch bevorzugte Stellen und Würden müssen ihnen geworden sein, da wir jene bronzenen Kopfringe, die sicher als Würdenabzeichen aufzufassen sind, nur bei weiblichen Skeletten, oder mit anderen weiblichen Schmuckstücken in Brandgräbern gefunden haben.“ Und jemand, der mir erzählt hat, daß die Bethenquelle genau in der Mitte zwischen dem Grab der Seherin, dem Karlsberg und St. Alto in Leutstetten liegt, hat mir erzählt, daß die nördliche Lage des Hügelgrabes im Gräberfeld allein schon die besondere Stellung des Grabes ausweisen würde, weil der Norden früher immer eine besondere Bedeutung gehabt hat.

Grabhügel im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Nach meinem Stand ist es ein bronzezeitliches Grab, da paßt ja dann auch der oben genannte Schmuck dazu. Sicher bin ich mir nicht - mein vorliegender Text hat eine umfangreiche Literaturliste ohne Julius Naue, der Autor hat also vermutlich nur bei jemand abgeschrieben, der vielleicht das Orginal gelesen hat. Das wäre also eine Supergelegenheit für BayernViewer-denkmal um statt „Grabhügel der Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit“ Stärke zu zeigen und das große Interesse zu nutzen, um den Leuten etwas über den Unterschied zwischen Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit und deren Grabsitten beizubringen.

„Grab der Seherin“ im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Das Interesse konzentriert sich im Hügelgräberfeld vor allem auf das Grab der Seherin, wenngleich ich es dort eher nicht so schön finde. Die Erde des Hügels ist um die Mulde herum schon ziemlich gleichmäßig festgetreten. Die Mulde wirkt etwas muffelig feucht, nicht so beeindruckend wie die Mulde des Grabes oben in den ersten drei Bildern und nicht so kuschelig wie die Mulde des letzten Grabes in diesem Blog-Eintrag. Zudem bricht in ein eventuelles Versinken in andere Welten gleich wieder eine vorbeifahrende Bahn hinein. Ich hätte trotzdem gedacht, daß sich das Interesse hauptsächlich auf dieses Grab bezieht und die anderen Gräber ziemlich nichts abbekommen, aber Nusas Beobachtung, die er im Blog von Massive Squad beschrieben hat, ist eine andere.

„Grab der Seherin“ im Hügelgräberfeld beim stillgelegten Bahnhof Mühltal

Anzumerken wäre noch, daß wir neben Hügelgrabintressenten auf der Strecke entlang des „Grabes der Seherin“ auch „normale“ Radfahrer und Spaziergänger gesehen haben. Also zum einen ist vermutlich eine passable Verbindung westlich der Bahnlinie in nördliche Richtung gegeben - ich bin ja immer von Osten aus dem Mühltal hochgekommen. Zum anderen ist der „Unheimlichkeitsfaktor“ hier vielleicht nicht so hoch wie bei dem unübersichtlicheren Karlsberg.

Die Bahnlinie soll extra wegen den Hügelgräben eine Kurve machen, hatte ich auch schon gehört. Anderseits orientiert sich die Bahnlinie m.A. nach so viel besser an den Höhenlinien, als wenn sie durch das aktuell im BayernViewer-denkmal ausgezeichnete Hügelgräberfeld führen würde. So oder so können Hügelgräber über die Zeit hinweg verloren gegangen sein, die Einfärbung im BayernViewer geht ja nördlich auch ein Stück über das „Grab der Seherin“ hinaus. Anregender als Lageüberlegungen zu einem bestimmten Grab ist vielleicht die Frage nach der zugehörigen Siedlung. Julius Naue vermutete auf S. 188 die Niederlassungen der vorgeschichtlichen Bewohner in unmittelbaren Nähe der Grabhügel.

Keine Kommentare: