Donnerstag, 30. Juni 2011

Der Michaelsberg bei Bruchsal-Untergrombach

Ein paar Bilder vom Michaelsberg bei Bruchsal-Untergrombach. Er wurde in seiner umgangssprachlichen Form „Michelsberg“ namensgebend für die Michelsberger Kultur, die im Zentrum der Mitte Mai zu Ende gegangenen Jungsteinzeitausstellung in Karlsruhe gestanden hat.

Jungsteinzeit auf dem Michaelsberg bei Bruchsal-Untergrombach

Die Karlsruher Ausstellung wurde stark mit Funden aus jungsteinzeitlichen Feuchtboden- bzw. Pfahlbausiedlungen bestückt. Diese Siedlungen gehören zwar nicht zur Michelberger Kultur, die Erhaltungsbedingungen in den Feuchtböden ergeben aber ein wesentlich größeres Fundspektrum als auf normalen Böden. Und weil diese Siedlungen teilweise in Zeitgenossenschaft zu anderen jungsteinzeitlichen Kulturen entstanden sind, kann man aus den Funden auch auf das Leben in den anderen Kulturen rückschließen.

Blick nach Südwesten in das Rheintal

In dem Zusammenhang hatte ich in meinem Ausstellungs-Bericht auch auf meinen Blog-Eintrag zur Roseninsel im Starnberger See hingewiesen. Dort gab es wiederum den Hinweis auf die Bemühungen, die Pfahlbausiedlungen auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes zu bekommen. Diese Bemühungen waren erfolgreich, seit letztem Montag sind u.a. die Siedlungreste vor der Roseninsel auf der Welterbe-Liste. Merkur-Online berichtete darüber mit einem Luftbild, auf dem sogar Bodenunterschiede im Flachwasser vor der Insel zu erkennen sind. Nur sollen sich die Reste der Pfahlbauten östlich vor dem Lindenrondell in der nordöstlichen Ecke der Insel befinden, wenn wir das richtig mitbekommen haben, und dort ist das Bild abgeschnitten.

Jungsteinzeit-Infotafel auf dem Michaelsberg

Zum Badischen Landesmuseum Karlsruhe, in dem die Jungsteinzeitausstellung stattgefunden hat, noch der Hinweis auf seinen Jugendclub. Man darf einem Restaurator über die Schulter schauen, hat freien Eintritt zu Ausstellungen und es gibt einmal im Jahr eine gemeinsame Exkursion. Ist doch ein gutes Angebot?

Mit Schülern der Klasse 3a und 3b der Joß-Fritz-Schule Untergrombach nachgebauter jungsteinzeitlicher Kuppelbackofen

Nun zurück zum Michaelsberg. Vergleicht man das Gelände mit einer Kuppel, dann steigt es gegen die Spitze hin nur noch wenig, während das Gelände zum Rheintal und Untergrombach im Westen hin und in das Tal im Süden stärker abfällt. Nach der Infotafel müßte sich das Erdwerk an diesen Steigungsverhältnissen um die Geländekuppel orientiert und den schwach steigenden Bereich umfasst haben, der neben dem höher liegenden Gelände rechts vom ersten Bild auch ein Stück über die links zu sehende Straße hinaus gereicht hat.

Infotafel zum Kuppelbackofen

Die Kapelle des Heiligen Michael, nach welcher der Michaelsberg benannt ist, steht nicht oben auf der Kuppe, sondern im ersten Bild ein Stück weiter vorne, wo das Gelände dann stärker nach Untergrombach und in das Rheintal abfällt und die Kapelle besser sichtbar und zu Fuß erreichbar ist. Per Auto kommt man zur Kapelle aus Untergrombach in einer großen Schleife hoch, die etwa im Bereich des Bildes ihren höchsten Punkt hat, die Kuppel und das Erdwerksgelände also nur schneidet, und zur Kapelle und Gastätte wieder ein kleines Stück abfällt. Links im ersten Bild bei den Bäumen ist schon ein Parkplatz, direkt daneben folgt dann noch ein weiterer, der für die Gäste des Lokals reserviert ist.

Jungsteinzeitlicher Garten?

Im Gelände da oben ist teilweise kleinräumig unterschiedlich bepflanzt und unterschiedlich zugänglich. Ich konnte nicht lange oben bleiben und einen der angebotenen Rundwege ausprobieren - der „kleine Rundweg“, der um die Kuppe herumführt wäre sicher ganz interessant. Ich vermute aber, daß sich die Rundwege nicht mehr groß auf das Erdwerk beziehen, und daß sich da oben die Jungsteinzeit vor allem auf diesem Grundstück abspielt. Das besticht durch seine gute Erreichbarkeit. (Nachtrag am 16.11.2012: aktuellere Informationen zu diesem Grundstück gibt es in einem neueren Eintrag zum Untergrombacher Michaelsberg.)

Straßenende hoch zum Michaelsberg

Archäologisch gesehen hat sich der Michaelsberg zwar das Interesse erhalten, es gab und gibt wohl noch Ausgrabungen und auch in jüngerer Vergangenheit die erwähnten geomagnetische Messungen, aber der Berg soll keine besondere Rolle in der Jungsteinzeit gespielt haben. Er war weder Zentrum noch Ausgangspunkt der Michelsberger Kultur, der Platz ist nach dem Begleitband zur Jungsteinzeitausstellung auch nicht besonders früh anzusetzen, sondern wurde erst in der entwickelten bis späten Michelsberger Kultur besiedelt.

Infotafel zu den Wanderwegen auf und um den Michaelsberg

Ausschlaggebend für die Benennung der Michelsberger Kultur soll letztlich die frühe Ausgrabung gewesen sein. 1884 von Karl August von Cohausen bei einem „Spaziergang an der Michelskapelle bei Grombach“ gemachte Scherbenfunde, die er an Dr. Ernst Wagner schickte, seinerzeit „Großherzoglicher Conservator“ der „Alterthümer und der mit ihnen vereinigten Sammlungen in Baden“, dem heutigen Badischen Landesmuseum, führten schon 1888 zu Ausgrabungen durch den Karlsruher Altertumsverein auf dem Michaelsberg.

Michaelskapelle bei Untergrombach

Neben dem Erdwerk auf dem Michaelsberg sind im Raum Bruchsal drei weitere Erdwerke bekannt. Ich entnehme wieder dem Begleitband zur Karlsruher Ausstellung: auf dem Lössrücken „Altenberg“ im Bruchsaler Ortsteil Heidelsheim ein Überbleibsel eines Michelsberger Erdwerks mit Funden vieler Menschenknochen, Tierknochen und Keramikscherben. Das Erdwerk „Scheelkopf“ am Bruchsaler „Auberg“ mit Keramikfunden aus der Spätphase der Michelsberger Kultur. 75% der Knochen sind von Wildtieren und 25% von Haustieren. Vielleicht ein Zeichen von Klimaverschlechterung, Missernten, Rückgang der Haustierhaltung. Das Erdwerk von Bruchsal „Aue“, wo man auf 640 m Länge jungsteinzeitlichen Graben ausgraben und eine ungeheure Menge an Funden gewinnen konnte.

Panoramablick vom Michaelsberg bei Bruchsal-Untergrombach

Ob die vier Erdwerke im Raum Bruchsal abwechselnd nacheinander genutzt wurden oder ob verschiedene Gruppen nebeneinander Erdwerke bauten ist nach Stand des Begleitbuchs zur Ausstellung unklar, das versucht ein derzeit laufendes Projekt zu klären.

Donnerstag, 23. Juni 2011

Rätselhafte Täfelchen in Manching

Heute soll es ja überall regnen. Wer nicht raus will, hat vielleicht Zeit für den längeren Beitrag im Kulturkanal von Radio IN über die aktuelle Sonderausstellung „Aenigma - der rätselhafte Code der Bronzezeit. 'Brotlaibidole' als Medium europäischer Kommunikation vor mehr als 3500 Jahren.“ im Kelten-Römer-Museum Manching.

Die Ausstellung soll noch bis zum 13.11.2011 dauern. Während dieser Zeit wird laut Museumswebsite ein paarmal im Familien- und Schulprogramm „Aenigma - Knack den Code!" gezeigt, „wie man Zuhause im Garten mit einfachen Mitteln Keramik brennen kann“. Wie Dr. Rainer Schreg in seinem Archaeologik-Blog schreibt, stellen neuzeitliche Replikate von Feuersteinwerkzeugen mittlerweile ein echtes Problem dar. Ich hoffe, die Experten können die neuzeitlichen Täfelchen locker von den bronzezeitlichen unterscheiden.

Zum Buchbestellen für heute ist es etwas zu spät, aber im Zusammenhang mit dem früheren keltischen Oppidum Manching, auf dessen Gelände sich das heutige Kelten-Römer-Museum befindet, muß ich hier gleich noch Simon Kahnerts Buchvorstellung von „Keltenstädte aus der Luft“ erwähnen.

DVDs ausleihen ginge für manchen heute noch, Fernsehen sowieso. Auf die Fernsehtipps von Archäologie-Online hatte ich im Blog schon hingewiesen. Zum aktuellen Programm gibt es einen Kommentar von ungewohnter Seite, nämlich von Prof. Uwe Walter in seinem Antike-und-Abendland-Blog. Und um auf die DVDs zurückzukommen: Filmkritiken fanden sich bei Uwe Walter auch schon, unter den letzten Blogeinträgen mit „Centurion“ und „Ben Hur“ gleich zwei.

Schließlich noch ein Hinweis auf den Führungswechsel in der Münchner Glyptothek und den Antikensammlungen. Florian S. Knauß löst Raimund Wünsche als Direktor ab. Im Interview mit Simone Dattenberger spricht Florian S. Knauß über seine Aufgaben und Ziele: „Er erklärt, wer Zeus und Hera sind“.

Samstag, 18. Juni 2011

Selinunt, dritter Teil

Im dritten Teil will ich die Selinunt-Serie mit ein paar Fotos auslaufen lassen, die wir bei einem Gebäude in der Nähe der östlichen Tempel gemacht haben. Auf der im zweiten Teil Selinunt erwähnten Karte ist das Gebäude als Antiquarium eingezeichnet, vielleicht wird es für die Verwaltung oder als Anlaufpunkt für die dort tätigen Archäologen genutzt. Ob die Teile mit so gut erhaltener Farbe wirklich echt antik sind, mag ich kaum glauben. Vielleicht von dem zu der Zeit eingerüsteten Tempel C? Vielleicht gibt es auch eine ganz einfache andere Erklärung.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Unser Tag in Selinunt war einer der wärmeren Tage während unserer zwei Wochen in Sizilien. Wir hatten es locker angehen lassen und nach etwa eineinhalb Stunden Anfahrt schon nahe dem Eingang auf den Steinen des Tempels G ein kleines Picknick gemacht. Angesichts des großen Angebots auf der Akropolis sind wir nicht weiter bis zum Demeter-Malophoros-Heiligtum. Welche Prominenz wir ausließen, haben wir erst hinterher gelesen. Am Abend sind wir nicht mehr zum Steinbruch, sondern gleich heim und haben dort noch schnell etwas gekocht.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Das alles hatte auch mit unserer Vorbereitung per deutschem Reiseführer zu tun. Per Internet hätten wir gewußt, wo man gut zum Steinbruch abzweigt und vielleicht Empfehlungen für gute, im April offene Restaurants vor Ort gehabt. Gelitten haben wir nicht darunter, weil es so wie es gelaufen ist auch immer schön war. Außerdem sind wir in dem Bewußtsein dort gewesen, irgendwann wieder kommen zu können.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Aber um den Internet-Faden doch weiter zu spinnen: schon in München alle möglichen Ziele vorzubereiten hatte ich keine Lust. Kurzzeitig hatte ich damals den Gedanken an ein Netbook mit Internetanbindung verfolgt, 2009 war das bei den Mobilfunkanbietern ein größeres Thema. So eine Kombination für Sizilien aber schnell wegen den Auslandstarifen sein gelassen. Mittlerweile ist wohl ein Smartphone eine ganz praktikable Lösung, vielleicht mit einer zeitweiligen SIM-Karte von einem italienischen Anbieter und indem man auf der Tour verwendbare WLANs aufstöbert.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Letzten Samstag waren wir essen und am Nebentisch saß allein ein junger Mann, der bei einem Getränk pausenlos telefonierte - und auf der Speisekarte war ein Verweis auf das kostenlose WLAN im Hause. In dem Sinne wäre es ja ideal, wenn im Archäologischen Park von Selinunt so ein WLAN angeboten würde. Man könnte die Website des Archäologischen Parks ansehen, während man auf dem Gelände herumläuft. Man könnte vielleicht sogar im Netz gespeicherte Fernsehfilme über das alte Selinunt ansehen, etwa den hier vom ZDF, sofern so ein Film nicht zwischenzeitlich depubliziert wurde.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Bei den klassischen Informationsmitteln (Infotafeln) ist der Park nicht so üppig ausgestattet. Was wohl nahe liegt wegen dem Aufwand für die Mehrsprachigkeit und dem vielen, was man ausschildern müßte. Das Tanit-Mosaik im letzten Blog-Eintrag haben wir wahrscheinlich nur deshalb entdeckt, weil wir kurzzeitig an eine Reisegruppe herangeschlendert sind.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Die hatten ein ziemlich herbes Tempo. Ich vermute, die Gruppe war nicht einmal halb so lange im Archäologischen Park wie wir, haben aber das Demeter-Malophoros-Heiligtum sicher geschafft. Das Für und Wider der Reisegruppen will ich jetzt nicht diskutieren. Wenn ich allein wäre und zum ersten Mal Sizilien besuchen wollte, dann wäre eine Reisegruppe wahrscheinlich sogar meine erste Wahl.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Die Archäologische Staatssammlung will Sizilien-Reisen im Frühjahr 2012 anbieten. Detaillierte Reiseinformationen sollen im Laufe des Sommers vorliegen, ist im letzten Mitteilungen der Freunde der bayerischen Vor- und Frühgeschichte zu lesen. Vielleicht lassen sich mit diesem Angebot die Vorteile von Reisegruppen maximieren, wenn das Reiseangebot wirklich nahe an der Archäologischen Staatssammlung gebaut wird, also die Reiseführer den aktuellen wissenschaftlichen Stand intus haben und man vielleicht zusätzlich noch aus dem Kreise des Vereins Reisepartner mit starkem archäologischen Hintergrund bekommt.

Vielleicht Teile von Tempel C von der Akropolis Selinunt

Abschließend für die Hotel-Selbstbucher: das ginge direkt beim Archäologischen Park in Marinella di Selinunte. Der Sandstrand von Marinella ist nicht so gigantisch wie der von Herakleia Minoa. Aber so leer wie der Strand von Herakleia Minoa im April war, sind vielleicht die dortigen Ferienhäusern nachts kaum belegt, und das ist auch nicht jedermanns Sache.

Mittwoch, 15. Juni 2011

Selinunt, zweiter Teil

Wie am Ende des ersten Teils Selinunt erwähnt, wurde von der Fläche des alten Selinunts nach der Eroberung nur der Bereich der Akropolis wieder besiedelt. Die Arbeiten an dem noch nicht fertig gestellten Tempel G wurden dagegen nicht fortgeführt.

Akropolis von Selinunt. In der Mulde davor befand sich einst ein Hafenbecken der Stadt

Die heute zu besichtigenden Überreste geben also unterschiedliche zeitliche Stände wieder. Die Reste der Tempel E, F und G gehören zu einem größeren Selinunt, als es die Akropolis wiedergibt. Und die Veränderungen der Akropolis nach der Eroberung hätte es im alten Selinunt nicht geben können.

Blick von der Akropolis Selinunt Richtung Marinella. Ein größerer Parkplatz befindet am Eingang im Osten des Archäologischen Parks.

Eine andere Abweichung gegenüber der Zeit der Eroberung sind die heute verlandeten Mündungen zweier Flüsse, zwischen denen die Akropolis ursprünglich gelegen hat, und die seinerzeit als Hafenbecken genutzt wurden. Auf der Website des Archäologischen Parks Selinunt findet man nebst orginellen automatischen Übersetzungen für einen Überblick auch eine Karte des Parks.

Zur Zeit unseres Besuches eingerüsteter Tempel C

Zwischen den Tempeln im Osten und der Akropolis gibt es heute eine Mulde, die gegen das Meer hin in einem Wäldchen endet. Den früheren „kleineren Fluß“ Hypsas und heutigen Cottone habe dort nur als nicht gerade sauberes Rinnsal unterhalb der Stärke eines Bachs wahrgenommen. Das Gelände von der Akropolis ist in Richtung Westen zum Modione hin, dem früheren Selinos, ebenfalls abschüssig. Dort im Osten befindet sich mit dem „Heiligtum der Malophoros“ (Demeter-Heiligtum) eine weitere Sehenswürdigkeit. Der Selinos und der Name der Stadt haben vermutlich ihren Ursprung im griechischen Wort Selinon für den wilden Sellerie, der im Selinos-Tal wuchs und zum Emblem der Stadt wurde.

Tanit-Mosaik aus der Zeit nach der Eroberung Selinunts durch die Karthager

Die viel größere Fläche, die das alte Selinunt eingenommen hat, kann man sich unter der Karte ansehen („Virtuelle Rekonstruktion von Selinunte Meer aus gesehen“ und „Virtuelle Karte des Archäologischen Parks“). Bei der Gelegenheit will ich auch gleich auf den Unterpunkt „360° Bilder“ und als Beispiel auf das Bild am zeitweise besonders gesicherten neuralgischen Punkt der Akropolis-Befestigung am nördlichen Übergang zur Hochebene hinweisen.

Blick auf den Mündungsbereich des Modione. Hier befand sich ein weiteres, inzwischen verlandetes Hafenbecken Selinunts

Mit den östlichen Tempelresten, der Akropolis und dem „Heiligtum der Malophoros“ hat man die hauptsächlichen Stellen durch, wo es im Archäologischer Park etwas zu sehen gibt. Das „durch haben“ ist leicht gesagt, weil man ja im kompletten Bereich der Akropolis oder bei den Tempeln ungestört herumlaufen dort tausende Dinge entdecken kann. Nach Karte gibt es auch zwei Antiquarien auf dem Gelände, bei einem waren wir und haben nicht gesehen, daß es für den normalen Park-Besucher gedacht war.

Teilstück der Stadtmauer im Westen der Akropolis von Selinunt

Der vor Ort gekaufte Führer verweist auch ausdrücklich auf externe Museen, um sich archäologisches Funde wie Metopen, Vasen, Skulpturen, Tonfiguren, Masken und Münzen anzusehen. Zuvörderst empfiehlt er das archäologische Museum in Palermo und die Stiftung Mormino der „Banco di Sicilia“ in Palermo, wo die meisten Gegenstände zu sehen sind, sowie das nahe Museum von Castelvetrano mit dem Epheben von Selinunt. Laut Führer soll Castelvetrano 10 Autominuten vom Park entfernt sein, Palermo etwa eine Stunde. Neben solchen Museumsbesuchen könnte man noch den antiken Steinbruch Cave di Cusa in sein Besuchsprogramm aufnehmen, in dem die Arbeiten vermutlich beim karthagischen Angriff unterbrochen und nie wieder aufgenommen wurden. (Hier zwei Ansichten des Cave di Cusa bei Robert Ehrhardt.)

Vom Nordtor in das Zentrum der Akropolis führende Straße

Dieser kompakten Zusammenfassung, was es zu sehen gibt, steht nicht nur eine enorme Menge gegenüber - allein die Akropolis von Selinunt ist viel größer als das ausgegrabene Gelände von Herakleia Minoa. Der Archäologische Park von Selinunt und die ausgegrabenen Objekte bieten auch zahlreiche, sehr in die Tiefe gehende Besonderheiten. Problematisch scheint dabei, daß das Wissen über Selinunt offenbar noch lückenhafter ist als über Agrigent oder Syrakus - man vergleiche etwa in den Texten die Aussagen über handelnde Personen, wo man mit zahlreichen Namen aus Agrigent und Syrakus versorgt wird, während Selinunt namenlos bleibt. Mir kommt es so vor, daß mit dem schwächeren Zuordnungsrahmen die wissenschaftlichen Texte schwächer fundiert werden können und in der Folge auch der Schwanz der Reiseführer- und sonstigen -texte stärker wackelt und dort mehr Widersprüchliches und Vages zu finden ist.

Blick in Richtung Nordtor / nördliche Verteidigungsanlagen der Akropolis

Ein paar Besonderheiten Selinunts sollen aber noch erwähnt sein: zunächst die, daß auf dem Gelände einer griechischen Stadt in der Folge punisch gebaut wurde. Wie drückt sich dieses Zusammentreffen der Kulturen aus? Hierzu ist bei der Uni Köln die Dissertation von Dr. Sophie Helas mit dem Thema „Die punischen Häuser in Selinunt. Wohnen zwischen punischer Tradition und griechischem Einfluß“ als pdf-Datei downloadbar. Man sieht dort auch ein Beispiel für das erwähnte lückenhafte Umfeld, in dem Fall die Zeit nach 409, in dem die dann sehr rege werdende punische Bautätigkeit einsortiert werden muß und die Fragen aufwirft: wo kamen die Einwanderer her, die Punier hatten ja nie den Bevölkerungsdruck, um ein ausgeblutetes Sizilien wieder aufstocken zu können? Und was passierte mit der Bevölkerung während den Zeiten unter griechischer Herrschaft?

Blick vom Bereich der nördlichen Verteidigungsanlagen der Akropolis auf die in das Zentrum führende Straße

Ganz gut passend zu dieser Zeit nach der Zerstörung eine andere pdf-Datei von Michael Wiederstein mit dem Titel „Die griechische Planstadt Selinunt“, die sich mit dem Selinunt vor der Zerstörung befasst.

Reste der nördlichen Verteidigungsanlagen der Akropolis

Eine weitere Besonderheit sind die Verteidigungsanlagen der Stadt. Ich weiß nicht, wie solide diese Aussagen in Gerhard Herms Buch „Die Phönizier“ sind: die Karthager sollen Selinunt und in der Folge Himera mit riesigen Belagerungstürmen erobert hätten, denen die Griechen nichts entgegen setzen konnten. Zum anderen sollen beim Gegenschlag von Syrakus unter dem Diktator Dionysios bei der Eroberung von Motya (Mozia) als militärische Neuerung riesige Steinschleudern zum Einsatz gekommen sein. Jedenfalls muß es in diesen Kriegen auch ein technisches Wettrüsten gegeben haben, was sich in verbesserten Verteidigungsanlagen niedergeschlagen hat und was zeitweise zu einem vermuteten mehrstöckigem Bollwerk am oben genannten neuralgischen Punkt im Norden der Akropolis führte, dessen untere Stockwerke für einen Massenausfall von Soldaten und dessen oberstes Stockwerk für das Aufstellen von Katapulten geeignet war.

Weg an der Ostmauer der Akropolis

Die Metopen habe ich schon genannt, sie stellen für sich schon eine Besonderheit dar (Bilder finden sich auf der Website der Uni Erlangen). Der vor Ort gekaufte Führer erklärt das Bildprogramm der Metopen teilweise mit der besonderen Situation, in der sich die sizilianische Kolonistenstadt befand. Ihre Entstehung und manche Eigenheiten im Bildprogramm etwa von Vasen auch mit der ethnischen Zusammensetzung der Selinuntiner. Eine sehr spannende Sache, wenn das funktioniert und man bspw. aus dem stärkeren Auftreten bestimmter Götter oder Mythen Rückschlüsse auf Einwanderungswellen aus bestimmten griechischen Regionen ziehen kann. Wobei das aber schnell wie oben gesagt vage wird. Außerdem muß man froh sein, daß ein kleiner Führer solche Zusammenhänge überhaupt erwähnt, Verweise auf die weiterführende Literatur, gar in der jeweiligen Landessprache, darf man nicht erwarten. Für eine erste Vertiefung der erwähnten Besonderheiten ist aber die Website des archäologischen Parks nicht schlecht, trotz der schlechten Texte.

Ostmauer der Akropolis

Abschließend der Hinweis auf das Heiligtum der Demeter Malophoros. Der vor Ort gekaufte Führer liefert hier eine große Menge Stichworte, noch stärker im Vagen bleibend: „es wird angenommen, daß sich hier einheimische, griechische und nichtgriechische Bevölkerung traf“. Vielleicht ein „pansikanisches Heiligtum“? Ein Wasserkult? Hier am Fluß soll auch eine Quelle zutage getreten sein, d.h. es traf sich Fluß, Quelle und Mündung in das Meer. Wurden chthonische Gottheiten angebetet? Ein „Aufeinandertreffen orientalischer und westlicher Kulturen“. Erwiesen ist wohl ein wichtiges Zentrum des Demeterkultes, und der Demeterkult soll in Sizilien eine besondere Rolle eingenommen haben. Außerdem soll der Demeterkult auch von Puniern übernommen worden sein. Punische Änderungen am bauliche Heiligtum nach der Eroberung sind wohl erwiesen. Wobei allerdings der Führer an anderer Stelle spekuliert, daß das Heiligtum im 4. und 3. Jh. v. Chr. von den Karthagern phönizischen Göttern geweiht worden sein könnte.

Donnerstag, 9. Juni 2011

Selinunt

In diesem und den zwei folgenden Blog-Einträgen soll es um Selinunt gehen, das wir bei unserer Sizilien-Reise im April 2009 besucht haben. Die Sizilien-Einträge sind über das Label Sizilien zusammengefasst. Im ersten Teil Selinunt gibt es einen geschichtlichen Überblick, garniert mit Bildern der Tempel E, F und G. Die Tempel von Selinunt sind mit Buchstaben benannt.

Südseite des Tempels E von Selinunt

Grob gesagt kann man die nebeneinanderliegenden Tempel E, F und G von Selinunt mit den ebenfalls außerhalb der Akropolis liegenden Tempeln in „Prozessionsanordnung“ von Agrigent vergleichen. Wobei allerdings in Selinunt kein Tempel so erhalten geblieben ist wie der Concordiatempel von Agrigent und von den Tempeln E - G nur Tempel E teilrekonstruiert wurde. Der Selinunter Tempel G war einer der größten Tempel in der griechischen Welt und nahm damit in dem Ensemble etwa die Rolle des Agrigenter Tempel des olympischen Zeus ein. Vom Tempel G wird ebenfalls vermutet, daß er dem Zeus geweiht war, und er war wie der Tempel in Agrigent bei der Eroberung durch die Karthager noch nicht vollendet.

Ostseite des Tempels E von Selinunt

Selinunt (griech. Selinus, ital. Selinunte) war bis zu dem schon im Zusammenhang mit Agrigent und Herakleia Minoa erwähnten Kriegszug der Karthager eine der größten und mächtigsten sizilianischen Griechenstädte. Ähnlich wie Agrigent und Herakleia Minoa hatte Selinunt schon sizilianische Wurzeln, die im Fall Selinunts bei der Stadt Megara Hyblaea an der Ostküste der Insel lagen. Megara Hyblaea wiederum war eine Gründung der griechischen Stadt Megara. Selinunt entstand allerdings nicht wie die anderen Städte als Satellit in einem zu sichernden oder auszudehnenden Machtgebiet der Mutter. Vielmehr war Megara Hyblaea an der begehrten und am frühesten kolonisierten Ostküste zwischen nördlich und südlich angrenzenden Griechen auf einem engen Landzipfel eingezwängt und konnte sich dort nicht mehr weiter entwickeln. Die neue Stadtgründung erfolgte weit entfernt vom bisherigen Griechengebiet Siziliens an der Südküste im Westen mit Kolonisten aus Megara Hyblaea und aus Megara.

Innenbereich des Tempels E von Selinunt

Es gibt zwei Gründungsdaten: nach Thukydides wurde das sizilianische Megara 728 v. Chr. gegründet und Selinunt hundert Jahre danach. Diodor Siculus gibt 650 v. Chr. an. Das könne sogar beides stimmen, meint unser vor Ort gekaufter deutschsprachiger Führer von Mirka Bianco und Antonino Sammartano. Die Gründung einer Handesstation mag es schon zum früheren Zeitpunkt gegeben haben, während die Stadtgründung erst zum späteren Datum erfolgte. Wobei der Führer hinzufügt, daß es nachfolgende Einwanderungen vermutlich vom 7. Jh. v. Chr. bis in die Anfänge des 5. Jh. gab.

Blick über die Reste von Tempel F auf die Nordseite  des Tempels E von Selinunt

Selinunt war vom Westen bis zum Nordosten von Siedlungen der Phönizier/Punier und der hier einheimischen Elymer umgeben. Diese exponierte Position wirkt ziemlich gewagt, wenn man an das an die späteren griechisch-karthagischen Auseinandersetzungen auf Sizilien denkt. Aber vermutlich dachte man zu dieser Zeit noch nicht in diesen Kategorien. Die Stützpunkte der Phönizier hatten keinen griechischen Auswanderungsdruck im Hintergrund und sollen wegen ihrer schlechteren personellen Ausstattung kaum militärisch besetzte Handelsstationen gewesen sein. Karthago trat als Schutzmacht noch nicht in Erscheinung und die Interessengegensätze der Griechen untereinander müssen oft problematischer gewesen sein als die mit der einheimischen Bevölkerung.

Blick von den Resten von Tempel G über die Reste von Tempel F auf die Nordseite  des Tempels E von Selinunt

Anderseits konnten sich die Griechen auch nicht alles erlauben. Zwei im 6. Jh. von Selinunt unterstützte Versuche noch weiter im Westen griechische Kolonien zu gründen und die Punier/Phönizier weiter zurückzudrängen scheiterten. Eine Expedition des Griechen Pentathlos 580 v. Chr. zur phönizischen Niederlassung Lilybaion an der Westspitze Siziliens wurde mit Hilfe der einheimischen Elymer zurückgewiesen. An der Auseinandersetzung um Lilybaion soll sich Karthago möglicherweise noch nicht beteiligt haben, es gilt aber spätestens in Folge der Schlacht von Himera 480 v. Chr. als Führungsmacht der phönizischen Siedlungen im westlichen Mittelmeer. Selinunt hatte sich in dieser Zeit offenbar sehr gut mit den punischen Städten arrangiert und nahm an der Schlacht von Himera zusammen mit den Griechenstädten Rhegium und Himera auf Seiten der Karthager teil.

Überreste des Tempels G von Selinunt

In der darauf folgenden Zeit muß sich Selinunt in Richtung auf die alten Kriegsgegner Akragas, Gela und Syrakus umorientiert haben. Ich habe dazu einen Text gefunden, nach dem es diese Umorientierung schon früh gegeben hat, und einen anderen, nach der die Konstellation im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Karthager zustande kam, bei dem Selinunt 409 v. Chr. erobert wurde und der das Ende der großen Griechenstadt Selinunt bedeutete.

Blick von den Resten des Tempels G auf die Akropolis von Selinunt

Die Vorgeschichte wirkt aus mehreren Gründen reichlich bizarr. Das spätere Opfer Selinunt trat als Agressor auf, der versuchte auf dem Gebiet der Elymer-Stadt Segesta einen Handelshafen zu gründen. Das sollte an der Nordküste geschehen, am heutigen Golf von Castellamare, und hätte damit auch die Kette der punischen Niederlassungen unterbrochen. Segesta wandte sich zunächst hilfesuchend an Athen und wurde Auslöser der sogenannten sizilischen Expedition der Athener. Segesta täuschte Reichtum vor und bot eine Kostenübernahme an, damit Athen die Idee gut fand in der Auseinandersetzung mit Sparta präventiv in Sizilien einzugreifen. In Athen setzte sich der charismatische Demagoge Alkibiades für diese Idee ein. Die Expedition führte dann zwar nicht zu einer Schlacht gegen die Selinunter, weil die Athener feststellten, daß die Segestaner dafür nicht bezahlen konnten, aber zur Belagerung von Syrakus und der verlustreichsten Niederlage der Athener im Peloponnesischen Krieg.

Blick an Resten der Tempel G und E vorbei in Richtung Süden

Wenige Jahre danach trat dann Karthago an die Seite von Segesta. Der siegreiche karthagische Feldherr soll sogar noch versucht haben, vor Kriegsausbruch zwischen Segesta und Selinunt zu vermitteln, was Selinunt abgelehnt hat. Was ziemlich selbstbewußt gewesen ist, verglichen mit den 9 Tagen, die sich Selinunt gegen das karthagische Heer halten konnte. Die Hilfe der Verbündeten Akragas, Gela und Syrakus kam zu spät, das Schicksal von Selinunt war laut Diodor furchtbar, es sollen etwa 16000 Selinuntiner ihr Leben verloren haben.

Selinunt wurde zwar in der Folge wiederbesiedelt, konnte aber nie wieder an die alte Größe anknüpfen. Die Wiederbesiedlungen beschränkten sich nur auf die Akropolis des alten Selinunts, die während den folgenden griechisch-karthagischen Auseinandersetzungen von unterschiedlichen Herren weiter befestigt wurde.